Rede von Antonia Veramendi (Schule für junge Geflüchtete in München)

 

Menschenwürde statt Abschreckung

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

 

während wir uns hier versammeln, geht im Mittelmeer das Massensterben weiter – über 1400 Männer, Frauen Kinder und Babys ließen dort in diesem Jahr bereits ihr Leben. Gleichzeitig werden die Rettungsschiffe kriminalisiert und
daran gehindert, die Menschen vor dem Ertrinkungstod zu retten.
Auf unmissverständliche und grausame Art wird aus diesem internationalen Rechtsbruch klar:

Die Menschenwürde ist doch antastbar.
Angetastet von Politikern, die sich Verantwortungsträger schimpfen und dabei von ihrem Streben nach Machterhalt und rassistischen Dogmen leiten lassen. Die dem Nationalismus den Vorrang geben vor europäischer Solidarität.
Es ist gefährlich, wenn Abschreckung mehr wert ist als Menschenleben.

Wir verabschieden uns damit von den humanistischen Errungenschaften nach den Gräueln zweier Weltkriege:

von den Menschenrechten und dem unbedingten Schutz vor Gewalt und Verfolgung.
Seit Monaten hören wir Regierungsmitglieder in unserem und im Nachbarland davon sprechen, Zentren bauen zu wollen, in denen Menschen konzentriert werden sollen. In Lager weggesperrt, in denen sie – so brüstet sich unser
Bundesinnenminister Herr Seehofer - keinen Rechtschutz erhalten sollen.
Ich schäme mich für einen Innenminister, der über Deportationen nach Afghanistan verschmitzte Freude zeigt wie über ein Geburtstagsgeschenk. Dieses Verhalten ist aber nicht nur beschämend. Es ist gefährlich.
Regierungen, die sich damit rühmen Menschen auf der Flucht nicht aufzunehmen, und dabei Tausende von Toten in Kauf nehmen, die sich mit Abschiebezahlen rühmen und von den betroffenen Menschen sprechen wie von Sondermüll den niemand haben will, die sind gefährlich. Sie entmenschlichen.
Eine Entmenschlichung fand auch vor 80 Jahren in diesem Land statt. Und auch damals brüsteten sich Länder und Personen mit der Deportation von Menschen, die ihrer Überzeugung nach „nicht dazu gehörten“. Auch damals erfand man Sündenböcke. Mit hemmungslos menschenverachtendem Ton konkurrieren CSU und AfD um den Gebrauch von Wörtern wie Asyltourismus und Anti-Abschiebe-Industrie, die schutzbedürftige Menschen verleumden und Nächstenliebe in den Schmutz ziehen.
Dieser Ton, Herr Söder, ist nicht nur widerwärtig. Und seine Aussagen falsch. Er ist auch gefährlich. Er löst kein Problem. Im Gegenteil: Er ist das Problem. Und das Problem heißt nichtMigration. Es heißt Rassismus, Populismus und Nationalismus.

 

Über die Leidträger der Abschreckungspolitik, wird kaum gesprochen. Es sind Menschen wie der junge Ahrun, seit acht Jahren in Deutschland mit Arbeit, eigener Wohnung und guten Deutschkenntnissen. Er wurde letzte Woche nach Afghanistan deportiert. Dort fürchtet er nun jeden Tag um sein Leben. Sein im selben Flugzeug abgeschobener Leidensgenosse beging kurz nachder Ankunft in Kabul Selbstmord.

Leidträger sind auch hochmotivierte Schülerinnen wie Nyima* und Elvana*, die gerade ihre Mittlere Reife bestanden haben. Beide Mädchen möchten eine Ausbildung in der Pflege beginnen. Aber sie erhalten keine Ausbildungserlaubnis.
Grotesk, angesichts des öffentlich debattierten Pflegenotstands.

 

Den Menschen, die zu uns kommen, eine echte Chance auf Bildung und Teilhabe zu gewähren, ist in sicherheits-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Hinsicht ein Muss und Gewinn für uns alle. Unsere Regierung verkennt offensichtlich diese Notwendigkeit. Sie verhindert gelingende Integration, indem sie die Schwächsten unserer Gesellschaft gegeneinander ausspielt und als Sündenböcke missbraucht.

 

Ja, Ängste müssen wir ernst nehmen, Herr Söder, Herr Seehofer. Sie aber, Sie schüren Ängste, aus machtpolitischem
Kalkül, gemeinsam mit AfD, FPÖ und den Herren Salvini und Orban.
Ist es aber nicht die reale Angst vor dem Ertrinken, die Angst die eigenen Kinder im Bombenhagel zu verlieren, die Angst vor lybischen Folterlagern und vor Vergewaltigung in den Gemeinschaftsduschen der hiesigen Massenunterkünfte, die Angst mitten in der Nacht aus dem Lager Manching ins Kriegsgebiet Afghanistan deportiert zu werden? Sind es nicht diese Ängste, die wir sehr ernst nehmen müssen?

 

Ich möchte Michael Köhlmeier zitieren, der vor einigen Wochen sagte: Zum großen Bösen kamen die Menschen nie mit
einem Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung.
Hier und heute machen wir jedoch deutlich: Wir lassen uns nicht von Populisten und Geschichtsvergessern, von Zynikern und anachronistischen Nationalisten in die moralische Insolvenz treiben, nein!
Wir fordern die CSU-Führung auf:
Zeigen Sie endlich wahre Haltung und vertreten Sie die Werte, für die unser Land und Europa stehen will:
Solidarität und Menschenwürde. Treten sie ein für die Einhaltung der Menschenrechte und des internationalen Seerechts, das uns verpflichtet, Menschen vor dem Tod zu retten. Stoppen Sie die Deportationen in Krisenregionen und die Pläne für Transit- und Ankerzentren.  Gewähren Sie den Zuflucht Suchenden Zuflucht und Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren. Investieren Sie mit uns in Integration und gesellschaftlichen Frieden statt in Abschreckung!

 

*Name geändert